Unser nächstes Ziel heißt Athlone, eine Stadt ziemlich genau in der Mitte Irlands. Die Stadt liegt am Shannon. Dieser abwechslungsreiche Fluss durchquert die Insel von Nord nach Südwesten. Oberhalb von Athlone bildet er ein großes reichgegliedertes Seengebiet, und an einem der Seitenarme liegt unser neuer Campingplatz. Wir wollen von hier aus die Gegend südlich rings um Clonmacnoise erkunden.
Den Campingplatz finden wir nicht gleich, weil die breite alleengleiche Zufahrt mit den riesigen alten Bäumen und dem dichten grünen englischen Rasen genau hinter einem eingerüsteten Altbau liegt. Aber als wir ein Stück hineingefahren sind, entdecken wir das Holzhüttchen linkerhand, in dem der Platzwart residiert. Herr W. hat sogleich einen guten Draht zu ihm. Nachdem die wichtigen Themen wie die politische Lage rund um den Brexit einerseits und Fußball andererseits zur Zufriedenheit abgeklopft sind, geht es um unseren Stellplatz. Der Platzwart bestätigt uns, dass es gut sei, dass wir schon jetzt am Freitag Mittag da seien, weil in einer Stunde alle Gäste aus Dublin da seien, und da werde es schwierig. Wir sollen einen Platz uns vorne am See reservieren, ehe es keinen mehr gebe.
Trotz unserer Vorbehalte wegen der Stechmücken wagen wir es und stellen das Fahrzeug quer zur Uferlinie. Strom anschließen, Bier öffnen. Laki bekommt gesagt, dass die Schwäne nichts für sie sind, und dann geben wir uns dem Müßiggang hin.
Tatsächlich kommen jetzt weitere Feriengäste im Viertelstundentakt. Hinter uns stellen sich Deutsche hin, die eine ganze Weile rangieren. Sie kennen eindeutig weder die Maße des gemieteten Fahrzeugs noch die der Versorgungskabel. Vor uns platzieren sich zwei irische Fahrzeuge in der Frontrow. Sie haben Hunde, Kinder, deren gesamtes Spielzeug, Angelruten, Kühlboxen für draußen, Grills, einen Feuerkorb, natürlich Campingmöbel, und, und, und. Wir staunen. Das alles packen die aus für zwei Übernachtungen! Vorbei ist es mit der Gemütlichkeit. Laki wird nervös, weil die anderen Hunde und die rennenden und kreischenden Kinder sie verwirren, wo sie doch vollends damit beschäftigt ist, Schwäne zu ignorieren. Also erbarme ich mich, und gehe mit ihr spazieren. Ich will ein Stück entlang des Ufers gehen. Doch es ist in Irland nicht viel anders als in der Schweiz: Die Uferlinie ist entweder privat oder verbaut. Das merken wir auch, als wir am Abend essen gehen wollen. Wir laufen an der Straße entlang, weil ich in östlicher Richtung ein Restaurant vermute. Doch außer einem geschlossenen Bootslager und einem Pub, dessen Öffnungszeiten sehr rätselhaft sind, gibt es nichts. Also essen wir wieder mal das, was das Wohnmobil hergibt.
Am nächsten Morgen machen wir uns auf in Richtung Clonmacnoise, was ein kleines Stück südlich am Shannon liegt. Glücklicherweise ist es nicht allzu heiß, so dass wir Laki guten Gewissens im Auto lassen können. Die Anlage liegt frei am Fluss, der sich lieblich ins riedbewachsene Tal schmiegt. Nebenan gibt es eine imposante Normannenruine, die aber kaum mehr etwas von ihrer ursprünglichen Form erkennen lässt.

Wir passieren das Drehkreuz und nach einer Busladung voller Senioren mit einer aufgeregten Reiseleitung sind wir dran. Wir erhalten einen kleinen eingeschweißten Plan, den wir unbedingt wieder abgeben sollen, die Uhrzeit, zu der die deutschsprachige Filmvorführung stattfinden wird und die Empfehlung, uns auch die Exponate im kleinen Besucherzentrum anzusehen, und dann dürfen wir auf eigene Faust los.
Clonmacnoise wurde 548 vom heiligen Kieran gegründet, der in Irland auch heute noch große Verehrung erfährt. Er starb früh und erlebte daher die Blüte der Klosteranlage nicht mehr. Nach und nach kamen weitere Kirchen dazu, Werkstätten, eine ganze Siedlung. Zu ihrer Blütezeit muss die Klosteranlage weit über die Grenzen Irlands bekannt gewesen sein, nicht zuletzt wegen der großen Kunstschätze, die dort gefertigt worden waren. Dass Clonmacnoise an der Kreuzung zweier Hauptverkehrswege lag, mag die Bekanntheit noch gesteigert haben. Der Niedergang begann im 12. Jahrhundert, von da an wurde die Anlage zunächst von den Wikingern, später von den Normannen und zuletzt den Engländern verwüstet.
Etwas abseits liegen Gräber, auch hier wurde bis in die jüngere Zeit bestattet, gleich dahinter liegt der neue Friedhof. Wir schlendern und ich fotografiere.






Wir passieren den neuen Friedhof und kommen ein Stück die Straße entlang zur Nun’s Church, zur Nonnenkirche. Eine Mitarbeiterin aus dem Besucherzentrum überholt uns und setzt sich in die Ruine der Frauenkirche. Es scheint, als nutze sie ihre Mittagspause zur Meditation. Daher trödeln wir ein wenig und als sie sich wieder auf den Weg zur Arbeit macht, gehen wir hinein. Ob es daran liegt, dass ich selbst eine Frau bin, oder ob die Architektur besonders gelungen ist – mir gefällt diese kleine abseits gelegene Kirchenruine am besten.
Jetzt ist es auch an der Zeit, dass wir den Film auf deutsch sehen können. Daher machen wir uns auf den Weg zurück zum Besucherzentrum am Eingang. Hier sind auch die Nachbildungen der besonders wertvollen Steine und Kreuze, zum Beispiel die des Sculptured Cross.


Draußen erlösen wir Laki aus dem Auto und fahren weiter, immer den Shannon mehr oder weniger an unserer Seite. In der Kleinstadt Banagher stellen wir das Auto auf dem öffentlichen Parkplatz ab, der jetzt am Samstag Nachmittag recht leer ist. Die Bücherei an der Stirnseite des Platzes hat auch schon geschlossen, wir laufen die menschenleere Hauptstraße hoch. Es gibt zwei Kirchen, eine mit schönen Fenstern, wo wir aber nicht hineinkönnen und eine andere mit einem überlebensgroßen goldenen Padre Pio davor. Hier hätten wir den wahrhaftig nicht erwartet. Laki nutzt ihre Chance und produziert mitten auf der Hauptstraße das Häufchen ihres Lebens. (Keiner sieht es, ich habe Tütchen dabei, einen Mülleimer gibt es auch.)

In einem Supermarkt erledigen wir kurz vor Ladenschluss den Wochenendeinkauf und ich kaufe bei dieser Gelegenheit für meine Tochter und ihre Familie Unmassen von irischen Süßigkeiten, bunt und verrückt. Die Verkäuferin an der Kasse kann sich beim Ziehen über den Scanner ein wiederholtes zustimmendes Schnalzen mit der Zunge nicht verkneifen. Am Fluss unten gibt es einen kleinen Hafen, und weil wir Hunger haben, suchen wir uns eine Möglichkeit, eine Kleinigkeit aus der Hand zu essen. Aber hier ist wirklich alles wie ausgestorben. Erst hinter einem großen Hafengebäude wartet ein riesiger alter schwarzer Hund vor einem Wagen, wo Pommes im Angebot sind. Laki freundet sich mit dem Rüden an und wir kriegen Pommes satt. Offenbar ist der Betreiber dieses Imbisses gelernter Koch, denn während wir essen, schneidet er mit flinken Handgriffen mehrere Orangen in hauchdünne gehäutete Filets, die er in einem verschlossenen Plastikcontainer in die Kühlung gibt. Wofür er die vorbereitet, bleibt unklar.
Herrn W.s Reiseführer nennt in der Nähe eine kleine romanische Kirche, die Clonfert Cathedral. Wir kurven eine ganze Weile umher, bis wir sie endlich in einer Kurve finden. Das Auto stellen wir in den Schatten unter einen großen Baum. Diese Kirche steht abseits und gilt als eines der wertvollsten erhaltenen Zeugnisse romanischer Baukunst in Irland. Tatsächlich ist vor allem das Portal beeindruckend, aber auch das Innere wartet mit berührenden Details auf.
Wir trödeln mal wieder ein wenig über den Friedhof und sprechen bei dieser Gelegenheit darüber, wie wir unsererseits mal bestattet werden wollen. Da irische Friedhöfe so freundlich und unkompliziert sind, fallen solche Überlegungen hier viel leichter als bei uns in Deutschland, wo Gräber sich als Ode an den rechten Winkel, pflichtbewusste Erfüllung der Friedhofssatzung und lebenslange Aufgabe für die Hinterbliebenen präsentieren.
Den Abend verbringen wir auf unserem Campingplatz. Kochen, essen, gucken. Die irischen Stellnachbarn versorgen uns mit Unmengen an Gesprächsstoff. Wie gut, dass die – hoffentlich – unsere deutschsprachigen Lästereien nicht verstehen. Endlich treiben die Stechmücken uns doch ins Fahrzeug. Am Sonntag morgen brechen wir zeitig auf. Dublin, wir kommen!